Alles Böse

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Alles Böse: Chemical Love - Rauschgiftgeschäfte im Darknet

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Die Zimmer in seiner Lieblingsherberge am Schlossgarten haben Designer eingerichtet, und ihr Küchenchef verspricht „kleine Kunstwerke“ statt schnöder Nahrungsmittel. Doch das Luxusleben im Stuttgarter Nobelhotel „Le Méridien“ hat seinen Preis: Regelmäßig fallen fünfstellige Rechnungen an, wenn der End-Zwanziger wieder einmal ein paar Tage dort verbracht hat. Doch ein knappes Jahr lang kann sich der Sohn eines früheren Profi-Fußballers sich das leisten: Nachdem er mit konventionelleren Geschäften nur mäßige Erfolge erzielte, wird er Boss einer Dealer-Bande. Die bietet ab Mai 2105 ihr Rauschgift im Internet feil, wird so Marktführer und scheffelt Millionen – bis die Ermittler zuschlagen. Im April 2016 stürmen sie das Haus eines Familienvaters im südpfälzischen Rülzheim. Denn dieser Handlanger ist der Lagerverwalter der Online-Dealer: Für steuerfreie 2000 Euro monatlich verwahrt er in seinem Keller die Drogen, die er in Päckchen steckt und an Besteller verschickt. Weshalb Landauer Richter ihn im Juni 2017 zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilen. Doch vor allem geht es in diesem Prozess um den Fußballer-Sohn mit dem teuren Lebenswandel. Denn der mittlerweile 30-Jährige mit dem Spitznamen „Chino“ gilt als der Chef der Bande, schließlich soll er ihre Einnahmen kontrolliert haben. Dabei haben die Kunden ihre Rechnungen für ihre Rauschgift-Päckchen in der Online-Währung Bitcoin beglichen. Womit die Zahlungen in ein virtuelles Vermögensdepot flossen, das nicht einfach wie ein traditionelles Bankkonto einem Inhaber zugeordnet werden kann. Doch die Ermittler haben bei ihrem Hauptverdächtigen einen Computer gefunden, der verräterische Einblicke gewährt. Denn auf ihm ist ein Programm installiert, über das sie ins Bitcoin-Konto der Online-Dealer hineinschauen können. Nur abgreifen können sie das Vermögen nicht, dazu fehlt ihnen das Passwort. Der Fußballer-Sohn wiederum beteuert: Er sei gar nicht der eigentliche „Chemical Love“-Chef, es gebe noch einen mysteriösen Oberboss. Und während er im Gefängnis auf den Beginn seines Landauer Prozesses wartet, passiert etwas, was diese Behauptung zu bestätigen scheint: Irgendjemand greift auf das virtuelle Konto zu und lässt fast ein Drittel der Bitcoins verschwinden. Doch als Beweis für die Existenz des großen Unbekannten lassen die Strafverfolger diese Transaktion nicht durchgehen, sie sagen: „Chino“ kann das auch aus der Haft heraus veranlasst haben. Indem er jemandem den Code verraten – oder mit einem ins Gefängnis geschmuggelten Smartphone gleich selbst auf das Konto zugegriffen hat. Also verdonnern ihn die Südpfälzer Richter nicht nur zu fast 15 Jahren Haft. In ihrem Urteil schreiben sie auch fest: Er schuldet dem Staat zum Beispiel einen vom Drogengeld bezahlten Maserati, der spurlos verschwunden ist. Doch vor allem hat er Bitcoin-Beute herausrücken, deren Gegenwert die Südpfälzer Juristen auf zehn Millionen Euro beziffern. In diesem Punkt allerdings fährt ihnen nachträglich der Bundesgerichtshof in die Parade, weshalb „Chino“ gut zwei Jahre später in Landau noch einmal vor neuen Richtern steht. Die ändern zwar nichts mehr an seiner Strafe, aber an seinem Schuldenstand: In amtlicher Währung soll er nurmehr 1,5 Millionen Euro verjubelte Beute bezahlen. Das Online-Depot hingegen wird nun einfach seiner virtuellen Form als beschlagnahmt eingestuft. Theoretisch könnte die rheinland-pfälzische Finanzministerin ihren Haushalt nun also mit einem Internet-Schatz aufpolieren, der – weil der Kurs der Digitalwährung stark gestiegen ist – mittlerweile gut 25 Millionen Euro wert ist. Doch daraus wird wohl nichts. Auf RHEINPFALZ-Anfrage hin teilt die für den Fall zuständige Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz mit: Ende 2019 und mithin kurz nach dem letzten Landauer Urteil ist das Konto nahezu vollständig geleert worden. Aber endgültig aufgegeben wollen die Strafverfolger das Vermögen trotzdem noch nicht. Also halten sie geheim, was sie über die Transaktion herausgefunden haben. Und wen sie für diesen dreisten Griff ins Online-Depot verantwortlich machen: Um die Geldwäsche-Ermittlungen seiner dafür zuständigen Cybercrime-Experten nicht zu gefährden, gibt sich der Koblenzer Generalstaatsanwalt zugeknöpft. Doch er lässt erkennen: Grundlegend neue Erkenntnisse zum „Chemical Love“-Komplex sind nicht mehr aufgetaucht. Weshalb sein Leute wohl davon ausgehen müssen, dass der inhaftierte „Chino“ zum zweiten Mal Vermögen verschwinden ließ. Dafür zur Rechenschaft gezogen würde er allerdings noch nicht einmal, wenn sie ihm das auch tatsächlich nachweisen könnten. Denn es geht um Gewinne aus illegalen Geschäften, für die er ohnehin schon büßt. Würde er ihretwegen erneut verurteilt, würde das Doppelbestrafung gelten. Und die ist verboten. Juristisch komplizierter ist hingegen die Frage, ob der „Chino“ dem Staat nun doch wieder den Gegenwert seiner Bitcoins in amtlicher Währung schuldet. Und vom Kurs welches Stichtags auszugehen wäre, falls deshalb in Euro umzurechnen wäre. Generalstaatsanwalt Brauer sagt: „Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Abschöpfung von Bitcoins sind in der Rechtsprechung noch weitgehend ungeklärt.“ Ganz genau lässt sich daher nur sagen, welche Summe in dem virtuellen Depot jetzt noch zurückgeblieben ist – und problemlos in den Landeshaushalt einfließen könnte, falls die Ermittler doch noch irgendwann ans für den Zugriff nötige Passwort kommen: Es sind exakt 0,00106589 Bitcoins. Macht nach aktuellem Kurs genau 56,03 Euro.


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